09.11.20 Nomaden im Training

junge Sturmtaucher beim Training

Wenn man in diesen Tagen die Gelegenheit hat, aufs Meer zu fahren, kann man in den windigen Bereichen Zeuge eines hoffnungsreichen Spektakels werden. Die jungen Sturmtaucher, die sich ab Ende Oktober bis Mitte November aus ihren Bruthöhlen aufs Meer herauswagen, bereiten sich auf eine grosse Reise vor:

Über mehrere Jahre hinweg suchen sie die grossen Nahrungsvorkommen des Atlantiks auf, ohne dabei an Land zu gehen.

Die Graphik unten stellt die Reise eines dieser Jungvögel dar. Kaum vorstellbar für uns, die wir sehr behütet aufwachsen, werden diese Tiere vom Küken ohne jede Anleitung direkt zu Nomaden der offenen Meere.

Reise eines unreifen (4-5 Jahre alten) Gelbschnabel-Sturmtauchers, der in zwei aufeinander folgenden Jahren verfolgt wurde (orange und hellblau entsprechen dem ersten bzw. zweiten Jahr). Días et al., Breaking the routine: individual Cory’s shearwaters shift winter destinations between hemispheres and across ocean basins. In: https://royalsocietypublishing.org/doi/full/10.1098/rspb.2010.2114

Nachdem ihre Eltern schon einige Wochen vor ihnen die Bruthöhle verlassen haben, stürzen sie sich in Richtung Meer aus der Felswand. Diejenigen, die nicht auf Land einen unfreiwilligen Zwischenstopp gemacht und es doch irgendwie zum Meer geschafft haben, suchen den Wind, der an unseren Küsten oft ein paar Tage auf sich warten lässt. Konnten sie weiter draussen in die windreichen Gebiete gelangen, beginnt eine gnadenlose Lehrstunde. Immer wieder müssen sich die (an der Wasseroberfläche wie an Land etwas schwerfälligen) Tiere in die Luft hochkämpfen. Dazu laufen sie auf dem Wasser gegen den Wind an und können idealerweise auf einem Wellenkamm den Absprung schaffen.

normale Windsituation vor La Gomera, 09.11.20

Dann gilt es, die richtige Taktik für den Segelflug zu üben. Sturmtaucher nutzen die Aufwinde zwischen den Wellen, um sich energiesparend über den Ozean tragen zu lassen. Das geht normalerweise recht leicht, wenn es fein definierte grosse Wellen sind. Im Winter generell und besonders im Windschatten der Inseln trifft man aber häufig auf zusammengesetzte Wellen, die sehr schwer einzuschätzen sind. So sieht man die Jungvögel regelmässig mit grossem Platscher abschmieren.

Mit bemerkenswerter Konstanz schwingen sie sich, nach kurzer Pause, immer wieder empor.

Aber die harte Trainingseinheit am Wind ist nicht das Einzige, was einem Sturmtaucher in dieser Phase das Leben schwer macht.

aller Anfang ist schwer, vor Allem bei schwachem Wind

Als allererstes muss es ihm gelingen, die für ihn verwirrend hell beleuchteten Küstenzonen zu durchfliegen. In wolkenreichen oder mondarmen, dunklen Nächten zieht sie das Licht geradezu magisch an. Auf La Gomera sind in den letzten Jahren jeweils 200 – 300 junge Sturmtaucher beim Umweltamt abgegeben worden, in Teneriffa sind es 1500 Tiere pro Jahr. Eines der grössten Probleme sind dabei die Lichtmasten in öffentlichen Einrichtungen, die für die Tiere nicht sichtbar sind und mit denen sie mit hoher Geschwindigkeit kollidieren können. In einem solchen Fall werden die überlebenden Tiere zu den Centros de Recuperación auf Teneriffa oder auf Gran Canaria gebracht.

Möwen fressen alle möglichen Vögel, auch unsere Mittelmeermöwe (Larus michahellis)

Sollte in der ersten Phase die Windsituation ungünstig sein, dürfte es den jungen Vögeln extrem schwer fallen, sich überhaupt in die Luft zu erheben und dort lange genug zu halten, um Nahrung finden zu können.

Wenn die Bürzeldrüse nicht richtig funktioniert oder sie in ein Ölfeld geraten sind, weisen ihre Federn nicht ausreichend gut das Wasser ab und werden nass. Dann drohen sie unterzugehen. Obwohl sie irgendwann recht gewandte Taucher sein werden, kostet es sie viel Kraft, sich immer wieder mit Flügelschlägen oder Fusspaddeln nach oben zu kämpfen, unter Wasser können sie nicht atmen. Auch Sturmtaucher können ertrinken.

gerupfter Sturmtaucher nach Möwenattacke

Möwen lauern teilweise in den Gruppen der jungen Sturmtaucher, um sich einen der weniger erfolgreichen Vögel herauszupicken und anzugreifen.

Was mag es für ein Gefühl sein, wenn die Sturmtaucher es geschafft haben und auf dem Wind über den Wellen „surfen“ können?

Haben sie die ersten Tage überstanden, öffnet sich nach einem wirklich harten Start endlich die grosse Weite des Atlantiks.