08.08.21 Pilotwale in der Bucht

Wie in einer Ruhephase dümpelten die Pilotwale an der Oberfläche

In der vergangenen Woche hat sich eine Familie von etwa 20 Pilotwalen (auch Grindwale – Globicephala macrorhynchus) einfallen lassen, doch mal für etwa 24 Stunden die Nähe des Hafens aufzusuchen. Am Abend des 02.08. hatten sie sich in der Bucht zwischen dem Roque Iguala und dem Hafen von Vueltas häuslich eingerichtet.

Wen man auch fragte, keiner hatte das hier schon erlebt. Juan José von der Amazonia meinte dazu: „La primera vez que veo los calderones en la bahía de Valle Gran Rey.“ Das war schon eine kleine Sensation, die ich ähnlich bisher nur auf Teneriffa hatte beobachten können und das auch nur bei 2 Gelegenheiten, jeweils für weniger als eine Stunde.

Das hat es nie gegeben?

Wir neigen aber auch dazu, ähnliche Situationen in unserer näheren Umgebung zu vergessen: vielleicht erinnert sich jemand an den August 2016 in Lanzarote, wo es Badegäste waren, die eine beinahe gestrandete Gruppe von Pilotwalen einfach wieder hinausgeschoben haben.

2020 noch gab es eine Strandung mit 15 Tieren an der Küste Asturiens, 9 von denen verstarben am Ende. 2019 kam es zu einer fatalen Massenstrandung mit 136 toten Tieren auf den Kapverden.

Warum nähern sich die Tiere gelegentlich der Küste?

Nur selten ist es weit vor der Küste so ruhig

Da sich die Pilotwale in Wassertiefen von durchschnittlich 700 Metern von grossen Kalmaren, Kraken und Fischen ernähren, sind sie bei La Gomera eher 3 – 4 Meilen (5 – 7 Kilometer) vor der Küste zu finden, im Süden auch schon mal etwas näher. Wir wundern uns schon, wenn wir sie mal 2 Meilen vor der Küste antreffen.

Die Nähe zum Land bietet den Tieren vor allem eine ruhige Lage an der Wasseroberfläche, wenn draussen die vom Passatwind produzierten kabbeligen Wellen alles wuschig machen. Das kann für ein geschwächtes Tier sehr wichtig sein.

Typische Ruhephase einer Gruppe von Pilotwalen: Ein Grossteil der Tiere liegt dösend an der Oberfläche

Gleichzeitig birgt eine solche Annäherung aber immer eine reelle Gefahr des fatalen Strandens (sobald die an der Oberfläche treibenden Tiere von den Wellen an Land gespült werden), was gerade bei Pilotwalen weltweit immer wieder beobachtet wird. So wie es aussieht, funktioniert im flachen Wasser die Orientierung der Tiere nicht gut genug, um sich den Weg von der Küste weg selbst zu suchen. Pilotwale sind zudem bekannt für sehr enge familiäre Bindungen, weshalb oft gleich ganze Gruppen verenden.

Besonders reichhaltige Infos zu den Pilotwalen gibt es hier: https://asociaciontonina.com/gallery/calderones-globicephla-macrorhynchus/

Was war zu tun?

junge Pilotwale sind oft neugierig

Als am Mittwoch gegen 10.30 Uhr die Nachricht kam, dass die Gruppe noch immer in Hafennähe lag und einige Motorboote und Kajaks aus dem Hafen zu den Tieren gefahren waren, habe ich das entsprechend in der Chat-Gruppe des „Steuerungskomitees“ des in diesem Jahr neu eingerichteten Whale Heritage Sites kommentiert, da möglicherweise Sicherheitskräfte alarmiert werden müssten, und nicht klar war, wie wir damit umgehen sollten.

Dort wurden im Laufe des Morgens schnell Stimmen laut, dass man die Tiere mit grosser Vorsicht behandeln sollte, sie wären wahrscheinlich aus gutem Grund in Richtung Land geschwommen. Eine Wissenschaftlerin der Universität in La Laguna meinte, jemand solle kontrollieren, ob es eventuell ein geschwächtes Tier in der Gruppe gäbe.

Die delegierte Tourismusrätin in der Inselregierung fragte immer wieder nach neuen Informationen, eine Vertreterin von Turismo in Teneriffa fragte nach Kontrolle, der delegierte Umweltrat alarmierte den Umweltschutzdienst der Guardia Civil, den Seprona. Ein weiterer bekannter Cetaceenwissenschaftler aus Teneriffa regte an, die Tiere aus der Ferne zu beobachten und nur notfalls Alarm zu schlagen.

Warum näherten sich die Pilotwale in der aktuellen Situation der Küste?

Einige Boote haben sich in respektvollem Abstand aufgehalten

Sofort wurde von zwei Möglichkeiten gesprochen, die verantwortlich sein könnten: ein verletztes oder geschwächtes Tier, welches in ruhigem Wasser bessere Überlebenschancen hat, auch wenn alle dann nichts zu Essen bekommen oder die Präsenz von Orcas. Ich würde noch eine mögliche anstehende Geburt ins Spiel bringen (die zumindest war bei einer Gelegenheit von einem Walbeobachtungsboot im Süden Teneriffas beobachtet worden, als wir schon mit mehreren Booten versucht hatten, eine Barriere zwischen Land und den Tieren zu bilden, unwissend wie wir waren.)

andere müssen schon sehr nah dran gewesen sein (Bild aus Sozial media)

An anderen Stellen sind auch die am Montag und Dienstag beobachteten Erdbeben vor San Sebastian und Teneriffa ins Gespräch gebracht worden. Dazu möchte ich einbringen, dass aus Erdbeben resultierende Tsunamis, die potentiell eine Gefahr darstellen könnten, vor allem an der Küste zur Ausbildung grosser Wellen führen. Auch Erdrutsche, die an der Küste entstehen könnten, wären eine Bedrohung. Es wäre für Pilotwale also nicht sinnvoll, die Nähe der Küste zu suchen, wenn sich sowas anbahnt.

Wie sollten wir reagieren?

ID Fotos der Gruppe könnten bei einer erneuten Begegnung Zusammenhänge erkennbar werden lassen

Gegen 14.00 Uhr am Mittwoch bin ich rausgefahren, um mir die Gruppe näher anzuschauen, um nötigenfalls über ein verletztes oder krankes Tier berichten zu können. Aber die Tiere schwammen nicht nervös hin und her, wie es in einer kritischen Situation wie einer Bedrohung durch Orcas oder andere Räuber zu erwarten gewesen wäre. Weder die Unterwasseraufnahmen noch die Beobachtung über Wasser oder die Tonaufnahmen zeigten Besonderheiten, wenn man davon absieht, dass die Pilotwale sehr leise waren. Nur gegen 14.15 Uhr konnten wir sie kurz hören, leider in einem Moment, als wir das Aufnahmegerät am Unterwassermikrofon nicht im Einsatz hatten, weil sich andere Boote angenähert hatten und das Motorengeräusch zu laut war. Möglicherweise war aber auch das Unterwassergeräusch der Wellen vor der Küste am Kieselstrand von Argaga für eine Verschleierung etwaiger Laute verantwortlich, welches deutlich in den Sound-Aufnahmen zu erkennen ist.

Erleichterung bei dem unspektakulären Ende

Um 16.30 Uhr bin ich mit dem Kajak wieder hinausgefahren, um noch ein paar fehlende Id-Fotos von den Rückenflossen nachzulegen und aus sicherer Entfernung zu schauen, was passiert. Die Fotos geben uns Sicherheit, um klar sagen zu können, dass es sich um ein bestimmtes Tier handelt, falls diese Gruppe woanders wieder in Küstennähe auftaucht oder irgendwann ein Tier an der Küste geborgen wird. Um 17.15 Uhr schlugen die Pilotwale einen klaren Kurs auf die hohe See ein, vielleicht forciert durch die Versuche einer Gruppe von Jugendlichen, sich den Tieren von einem Boot aus schwimmend zu nähern.

Fazit?

junger Pilotwal macht „Faxen“

Ich setze das Fragezeichen, weil wir ohne Erklärung dastehen. Es blieb am Ende unklar, warum sich sich die Tiere an die Küste angenähert haben, ob sie sich der Küste woanders noch einmal genähert haben, oder ob es tatsächlich ein verletztes Tier gab. Auch sind meiner Information nach keine Orcas in der Nähe beobachtet worden.

Eine Aussage über einen Grund für dieses seltene und potentiell problematische Verhalten der Pilotwale kann man meiner Meinung nach nicht treffen. Vielleicht ist das aber auch nicht das Wichtigste?!

Klar wurde dagegen, dass es zunächst keine Anlaufstelle auf La Gomera gibt, die sich im Falle einer möglichen anstehenden Strandung für die Organisation vor Ort verantwortlich erklärt und präsent ist. Der Verlust von Manolo Carrillo macht sich hier wieder deutlich bemerkbar, auch wenn auch dieser Spezialist in diesem Fall eben zu spät gekommen wäre. Die Autoritäten waren sehr aufmerksam, dabei war es wahrscheinlich unmassgeblich, ob das in der Chatgruppe vom Whale Heritage Site kommuniziert wurde oder per Notfallanruf an die 112. Die Guardia Civil hat sich noch am Mittwoch in Gran Canaria auf den Weg gemacht und war am Donnerstag mit einem Boot vor der Küste unterwegs. Sie kamen zu spät vor Ort an, aber der Versuch ist unternommen worden. Auch die Bemühungen, von Land aus den Beteiligten ein Fernhalten von der Pilotwalgruppe nahezulegen, kamen mit Verspätung. Eher anekdotisch war es vielleicht, sich damit an die Betreiber der Walbeobachtungsfirmenzu wenden, die ja genau wissen, wie sie sich den Tieren nähern sollten.

Guardia Civil vor der Küste. Foto: Social Media

Jedenfalls möchte ich ganz herzlich allen danken, die sich mit ihren Annäherungen an die Tiere zurückgehalten haben, auch wenn niemand da war, um sie zu kontrollieren oder zu orientieren!

Stammtischvorschlag:

Ein richtiger Managementplan im europäischen Schutzgebiet vor unserer Küste, ZEC ES 7020123 Franja marina Santiago – Valle Gran Rey, mit einem Boot, welches im Rahmen eines Programmes zum momentan praktisch nicht existenten Monitoring des Schutzgebietes beiträgt (ähnlich wie im Süden Teneriffas) könnte in Zukunft eine Verbesserung bedeuten.

Dabei ist es klar, dass unsere Insel klein ist und sich ein solches Boot finanziell niemals rechnen würde, oder? Auf der anderen Seite scheint ja Geld für den Bau von Häfen vorhanden zu sein, im Vergleich wird es wahrscheinlich eher „günstig“. Aber dafür müsste in Europa der Fokus bei den Förderprogrammen verschoben werden, vielleicht von Infrastrukturen aus Beton auf nachhaltige Entwicklung? Beispiele gibt es ja genug, die Tage erschien bei Canarias Ahora ein Lobgesang auf das Fischerreireservat in La Palma: https://www.eldiario.es/canariasahora/lapalmaahora/sociedad/reserva-marina-interes-pesquero-palma-cumple-20-anos_1_8201522.html

Apropos Häfen: Es ist leicht vorstellbar, wie sich die Situation entwickelt hätte, wäre der neue Yachthafen von Valle Gran Rey, mit seiner deutlich erweiterten Zahl von Liegeplätzen für Sportboote an schnell erreichbaren Schwimmstegen, schon fertig.

Vielleicht würde es aber auch schon ein Fortschritt sein, wenn sich alle darüber einig wären, dass diese Wale (und im weiteren Sinne das Meer und alle seine Bewohner) für die Insel ein wichtiger natürlicher Bestandteil sind, genauso wie die Wälder des Nationalparkes, und entsprechend handeln ….