Produktion im Wasser

Wenn man sich die grossen Mengen von Delfinen anschaut, die gelegentlich die Fähren begleiten, bekommt man den Eindruck, das Meer wäre voller Leben. Ist das so? Ist das Meer vor unsereren Küsten produktiv?

Was ist Produktivität?

produktive Zone an Land

An Land nutzen Pflanzen Sonnenlicht, um aus Wasser und CO2 energiereiche Moleküle aufzubauen. Ebenfalls im Spiel sind Stickstoff, am Besten in der Form von NO3 (Nitrat), und Phosphor, welches in der Form von PO4 (Phosphat) in geringerem Masse ebenfalls notwendig ist. Dazu kommen noch verschiedene Spurenelemente wie Eisen oder Silikate und einige andere. Allgemein ist CO2 in ausreichendem Masse vorhanden. Dagegen wirken je nach Umfeld Licht, Nitrat, Phosphat, Wsser oder Spurenelemente limitierend. Sind alle in ausreichendem Mass vorhanden, ist die Produktivität hoch. Meist werden die mangelnden Substanzen oder Nährstoffe deshalb als Dünger zugeführt oder gegossen. In einem natürlichen System, wie dem Lorbeerwald im Nationalpark, ist kein Dünger nötig. Die verrottenden Pflanzen setzen alles frei, was neu aufwachsende Pflanzen brauchen, hier bestimmen Licht und Wasseraufkommen das Wachstum.

Produktivität im Meer

Emiliania_huxleyi (Alison R. Taylor (University of North Carolina Wilmington Microscopy Facility) – PLoS Biology, June 2011, Cover ([1])
Im Meer sieht die Situation ähnlich aus, nur sehen wir die meisten der dort photosyntetisch aktiven Algen oder Bakterien nicht. Sie sind zu klein. Die vor der afrikanischen Küste für einen grossen Teil der Produktion verantwortliche winzige Alge Emiliania huxleyi erreicht etwa 5 Mikrometer im Durchmesser. Und natürlich ist Wasser immer genug da.

Die Tiefe der euphotischen Zone (Oberflächenschicht, in der genügend Licht für die Photosynthese vorhanden ist) beträgt oft weniger als 10 m und selten mehr als 100 m (Fogg & Thake, 1987), während die mittlere Tiefe des Ozeans ca. 3700 m beträgt. Daher sind Photosynthese und Primärproduktion auf eine dünne Schicht an der Meeresoberfläche beschränkt.

Auch im Meerwasser werden Verbindungen mit Stickstoff und Phosphor (eventuell Eisen) für das Wachstum benötigt. Diese Substanzen sind dabei, neben CO2 und Wasser, die essentiellen Bestandteile der “Nahrung” der Algen, die limitierenden Faktoren des Prozesses, ohne sie geht es nicht.

Abgestorbene Algen sinken auf den Meeresboden, wo ohne Licht keine Photosynthese möglich ist und von wo aus eine Rückführung in den Kreislauf nicht möglich ist. Das Wasser wird an der Oberfläche zwar von ausreichend Licht durchflutet, ist aber arm an Nährstoffen. Wachstum von Pflanzen bzw. Primärproduktion im Meer ist also in weit grösserem Masse von der Zufuhr von frischen Nährstoffen abhängig, als an Land.

Als Mass für die Höhe der Primärproduktion könnte man die Biomasse einer Zone (die Gesamtmasse aller Lebewesen) verwenden, sie steht in einer engen Beziehung zum Vorhandensein dieser Nährstoffe. Generell ist die Masse der Primärproduzenten an Land, durch die Ausbildung riesiger Vegetationskörper mit Tragestrukturen, wesentlich grösser als im Meer.

Übrigens: bei der Photosynthese wird, wie auf dem Land auch, Sauerstoff freigesetzt, der für die Atmung der Tiere und Menschen lebensnotwendig ist. Die Menge des im Meer freigesetzten O2 entspricht etwa 50 % der Gesamtmenge des auf der Erde bei Photosynthese entstehendem Sauerstoffes; jeder zweite unserer Atemzüge entnimmt der Luft Sauerstoff, der im Meer freigesetzt wurde.

Herkunft der Nährstoffe:

Algen nach Regenfällen

Es gibt hauptsächlich vier verschiedene Möglichkeiten, wie Nährstoffe in den Kreislauf gelangen:

Die Wassermassen, die phasenweise mit dem sogenannten „Upwelling“ vor der afrikanischen Küste an die Oberfläche kommen, sind reich an „Nährstoffen“.

Das gilt lokal für das bei Regen von Land her eingespülte Süsswasser.

Wenn Wellen oder Strömungen den Untergrund aufwühlen, werden Mineralien im Wasser gelöst und stehen den Algen als Nährstoffe zur Verfügung. Das geschieht nur an den Küsten oder in flachen Gewässern.

Durchmischung mit nährstoffreichem Tiefenwasser geht nur mit Hilfe von vertikalen Strömungen, die von der Temperatur abhängig sind.

Da bei uns Niederschläge und grosse Wellen eher im Winter auftreten zeigt sich das grösste Algenwachstum vornehmlich zu Beginn des Frühjahrs. Als Folge wächst die Zahl sichtbarer Algen an der Küste, aber auch die Zahl der im Wasser frei treibenden planktonischen Algen, die so winzig sind, dass wir sie gar nicht sehen können. Mit einigen Wochen Zeitverzögerung wächst dann auch der Gehalt an Konsumenten im Wasser, in erster Instanz winzige treibende Krebschen.

Wassertrübung durch Schlamm vor Valle Gran Rey

Messung der Primärproduktion

Da die Primärproduktion meist über den Gehalt von Chlorophyll und anderen photosyntetisch aktiven Molekülen abgeschätzt wird, diese lokal aber sehr variabel ist, müsste man grossem Rahmen Wasserproben entnehmen und aufwändig analysieren. Darum nutzt man Satellitenbilder, um aus der Farbe Rückschlüsse auf den Chlorophyllgehalt des Wassers – und damit auf die Leistungsfähigkeit einer Zone – ziehen zu können.

Situation bei den Kanaren:

Nährstoffzufuhr aus Upwelling ist abhängig von der Strömung. Je stärker die nach Westen auf das offene Meer weisende Komponente der Strömung ist, desto mehr muss kaltes und nährstoffreiches Wasser aus der Tiefe nachrücken. Da in unserer Zone der wichtigste Motor der Strömung der Wind ist, zeigt sich vor Allem bei starkem Passatwind ein starkes Upwelling.

Niederschläge fallen hier vor Allem im Winter. Zwischen November und März ziehen die meisten Tiefdruckgebiete an den Kanaren vorbei, die mit starken Regenfällen Wasser in die Schluchten bringen und damit abgeriebene Mineralien ins Meer.

Auch die starken Wellen aus den grossen Stürmen des Nordatlantiks erreichen uns hauptsächlich im Winter.

bei starkem Wellengang bildet sich Schaum in Gewässern mit grossem Gehalt an organischem Material (Algen oder Zersetzungsprodukte aus dem aufgewühlten Sediment)

Der Austausch mit nährstoffreichem Tiefenwasser ist von vertikalen Strömungen abhängig. Eine enorm wichtige Rolle bei der Versorgung des uns umgebenden Meeres kommt so der Wassertemperatur zu, die vertikale Strömungen blockieren kann: Normalerweise ist es an der Oberfäche am Wärmsten, etwa zwischen 18 und 24 °C, nach unten nimmt die Temperatur ab. In Tiefen von mehreren Tausend Metern liegt der Wert bei etwa 5 °C. Ist die Oberfläche richtig warm, schwimmt leichtes, warmes Wasser über kaltem, schweren Wasser wie eine Deckschicht, wir haben eine stabile Schichtung, eine Smogwetterlage im Meer. Die dazwischen liegende Übergangszone mit nach unten schnell fallenden Werten nennt man Sprungschicht. Je wärmer das Wasser an der Oberfläche ist, desto stabiler die Schichtung, und desto seltener wird es, dass es zu einer Durchmischung mit Tiefenwasser kommt.

Am Ende finden wir bei den Kanaren Verhältnisse wie auf dem offenen Ozean: Die Primärproduktion ist dreimal niedriger als an der nur 500 km entfernten afrikanischen Küste.

linksdrehender Strömungswirbel südöstlich von El Hierro 03.01.19

Zum anderen räumlich begrenzt, vor steilen Unterwasserabhängen, wo reichhaltiges Tiefenwasser aufströmt, oder in Strömungswirbeln, die Nährstoffe aus der Tiefe nach oben „pumpen“: Sie kennen die Corriolisbeschleunigung? Jede Bewegung auf der Nordhalbkugel wird nach rechts abgelenkt. In links-drehenden Wirbeln werden dabei die oberflächennahen Schichten nach „aussen“ gedrückt, das entstehende Vakuum an der Oberfläche wird durch aufsteigendes kaltes und nährstoffreiches Tiefenwasser gefüllt. Rechtsdrehende Wirbel sind aber nicht entsprechend verarmt, sie konzentrieren immerhin das Plankton an der Oberfläche. Die meisten planktonischen Organismen sind in der Lage, die relativ langsame Sinkgeschwindigkeit zu kompensieren und in der Nähe der Oberfläche so für ein etwas reichhaltigeres Angebot an Nahrung zu sorgen.

grobe schematische Darstellung von Strömungen und Chlorophyllgehalt des Nordatlantiks. Nach Seawifs c04_chl2007_natlantic; verändert

Ausserdem gibt es Jahre mit besonderen Verhältnissen, die an die “Niños” des Südpazifiks erinnern: Nachdem 2004 die Passatwinde nur spärlich geblasen hatten und die Strömungen nur wenig ausgeprägt waren, konnten warme und praktisch nährstofflose Wassermassen des zentralen Atlantiks hier eindringen (noch im November gab es Luft-Temperaturen bis 29º C). Die in diesem Jahr sehr geringe Primärproduktion wurde dann 2005 mit einem “Nährstoffschub” kompensiert und in der Folge waren grosse Makrelen- und Sardinenschwärme und viele sich von diesen ernährende Räuber zu beobachten.

Als ein Beispiel für die relativ geringe Produktion der Gewässer um die Kanaren könnte man die Fischereierträge auswerten: Seit die kanarischen Fischer nicht mehr in den marrokanischen Gewässern fischen dürfen, hat sich die Menge der angelandeten Sardinen und Makrelen von 13000 Tonnen in den Jahren 1998 und 1999 auf 400 Tonnen in den folgenden Jahren verringert (Daten aus POSEICAN 2004).

Bedeutet dies, dass es hier nichts zu sehen gibt, dass wir von einer nassen Wüste umgeben sind?

Vögel an der Küste von Mauretanien

Nö. Trotz einer relativ geringen Primärproduktion ist das Meer immer noch voller Leben. Begrenzt auf Küsten, winterliche Anreicherung oder Strömungswirbel trifft das in sichtbarem Masse zu. Vor allem die vom Menschen nicht genutzten Arten treten in beeindruckenden Mengen auf.

Es ist sehr wichtig, an dieser Stelle klarzustellen, dass eine relativ geringe Produktivität nicht die Zahl der verschiedenen vorhandenen Arten bedingt. Tatsächlich ist die Diversität oder Vielfalt in den hiesigen Gewässern sehr gross. Die verschiedenen Expositionen gegenüber Wind, Wellen und Strömungen, unterschiedliche Temperaturen und vor allem die variablen Meeresböden tragen bei zur Ausbildung sehr vielfältiger Lebensräume mit einer grossen Zahl unterschiedlicher Bewohner.

Konsequenz aus der hiesigen Situation:

Diese partikuläre Situation (viele verschiedene Arten mit jeweils relativ geringen Individuenzahlen) verlangt nach einer besonders vorsichtigen Behandlung: Jede Veränderung wie übermässiger Verkehr, Vergiftung des Wassers und Veränderungen der Strömungen und der Sedimentation durch grosse Bauwerke können leicht desaströse Konsequenzen in einem sehr instabilen Gleichgewicht bedingen. Sehen Sie dazu auch die Seite: Der Mensch und das Meer.