In den Reiseführern kann man lesen, dass es auf La Gomera eine recht hohe Dichte an Naturschutzgebieten gibt. Das ist auch sicher richtig. Gerne lässt man es dabei, in Naturschutzgebieten ist die Natur ja geschützt. Ein Überblick …
Schutzgebiet ist nicht gleich Schutzgebiet, soweit weiss das wahrscheinlich jeder. In Abschnitten des Nationalparkes darf man beinahe gar nichts, während im Landschaftsschutzgebiet eigentlich nur darauf geachtet wird, dass es sich nicht verändert. Es gibt aber mittlerweile so viele verschiedene Areale in unterschiedlichen Kategorien, nicht nur im Rahmen der kanarischen Schutzgebiete, dass sich eigentlich niemand mehr zurechtfindet und vor allem an die Durchführung der dort geltenden Regeln halten mag (oder kann). Ich blätter mal durch:
Naturschutzgebiete im eigentlichen Sinne
Dazu gehört der zum Teil noch vom spanischen Staat verwaltete und finanzierte Nationalpark, aber auch die von den Kanaren verwalteten und finanzierten Naturreservate, Naturparks, Naturdenkmäler, geschützten Landschaften, Landschaftsparks und Gebiete wissenschaftlichen Interesses.
Auf dieser Seite gibt es schon mal einen Überblick. 30 % der Oberfläche der Insel gehören in solche Schutzgebiete. Flächenmässig sind neben dem Nationalpark vor allem vier davon sehr auffällig: Der wilde, wundervolle und wenig bekannte Naturpark Majona im Nordosten; die beiden beeindruckenden und tiefen Schluchten von El Cabrito und La Guancha im Südosten im Naturdenkmal El Cabrito; die beiden Schluchten von La Rajita und La Negra in der geschützten Landschaft von Orone südlich des Garajonay und der Landschaftspark von Valle Gran Rey im Südwesten. Und das ist ja noch lange nicht alles!
Schutzgebiete im Rahmen von Natura 2000
Was beinahe niemand auf dem Schirm hat, ist die wachsende Kontrolle durch die europäische Union, die seit den Nuller-Jahren im Rahmen der FFH Richtlinie und der Ausarbeitung des Netzes Natura 2000 hier eine deutlich grössere Fläche zugesprochen bekommen hat.
Zu den bestehenden 17 regulären Schutzgebieten gesellen sich ganze 33 marine und terrestre sogenannte „besondere Schutzgebiete“ (BSGs), aufgeteilt in 27 FFH-Gebiete und 6 europäische Vogelschutzgebiete. Da sich von denen einige untereinander decken (Los Órganos, Barrancos del Cedro y Liria y Garajonay), bleiben effektiv 30 übrig. Von denen stimmen wieder einige in ihrer Ausdehnung genau mit den schon vorhandenen Schutzgebieten überein, aber die Fläche wird doch deutlich erweitert, vor allem im Norden der Insel. Man schaue nur auf das riesige Gebiet von Teselinde, welches beinah das gesamte Tal von Vallehermoso mit allen Seitentälern umfasst.
Auch der grosse Anteil von Meeresflächen sticht ins Auge: bis auf den Bereich zwischen San Sebastian und El Cabrito ist das gesamte umgebende Meer europäisches Vogelschutzgebiet und der gesamte Bereich vor der Küste zwischen Playa Santiago und Valle Gran Rey ist FFH-Gebiet.
Wer jetzt meint das sollte reichen, der lasse sich noch ein bisschen weiterführen, es geht nämlich erst los:
Lebensraumtypen nach der FFH Richtlinie
Bei meiner Arbeit für die Kanarische Regierung bin ich, zusammen mit meiner Kollegin, die den botanischen Teil betreut, als Zoologe für die „Beobachtung“ der Schutzgebiete und Lebensraumtypen auf La Gomera zuständig. Wir sind unter anderem dazu angehalten, die jeweiligen Lebensraumtypen (in ihrer Definition recht genau anhand von vorkommenden Pflanzen charakterisierte, ursprüngliche, gut erhaltene oder wiederhergestellte einheitliche Bestände bestimmter Vegetationsgemeinschaften) zu beobachten und ihre Grenzen mit guter Begründung gegebenenfalls zu verändern. Dazu kommen noch die Habitate bestimmter geschützter Tierarten, in unserem Fall beispielsweise der Rieseneidechse von La Gomera.
Die von der europäischen Kommission vorgegebene Liste der Lebensraumtypen beinhaltet die charakteristischen bedrohten Vegetationsformen einer biogeographischen Region und vor allem diejenigen Vegetationsformen, die auch ausserhalb der EU vom Verschwinden bedroht werden. Ist ein Bereich erstmal zu einem gut erhaltenen Lebensraumtyp erklärt worden, gilt er automatisch als geschützt, wird also von uns beobachtet und belastende Aktivitäten und Umwelt-Schäden werden an die Kanarische Regierung gemeldet! Das ist der Grund, weshalb in den Randbereichen des Nationalparkes viele Felder immer wieder gerodet werden, obwohl man dort nichts anbauen will. Wächst dort erstmal wieder Baumheide, darf man sie ab einer bestimmten Grösse nicht mehr schneiden und verliert entsprechend das Nutzungsrecht für die Zukunft!!
Lebensraumtypen auf La Gomera sind natürlich der Lorbeerwald (Kennziffer: 9360), die Baumheiden-Gagelbaum-Gesellschaft (4050), die Wacholderbestände (9560), Wolfsmilchgesellschaften (5330) oder die Tamarisken– (92D0) und Palmenbestände (9370) und einige mehr. Im Meer sind es die flachen Sandbänke, Felsenriffe und ganz oder halb überspülte Unterwasserhöhlen.
In dem Zusammenhang ist La Gomera in dem absolut „privilegierten“ Zustand, die mit Abstand grössten und am besten erhaltenen natürlichen Lorbeerwaldbestände der Kanaren, die mit Abstand grössten natürlichen Bestände an Palmen und die einzigen nennenswerten natürlichen Wacholderbestände ihr Eigen zu nennen. Es ist also klar, dass hier eine Menge zu erhalten gibt, weil es im Verlauf der letzten Jahrhunderte nicht zu einer ebenso grossen Zerstörung wie auf den anderen Inseln gekommen ist.
Wo gehts hin?
Wenn man das alles zusammenzählt, bleibt in einigen Abschnitten der Insel nicht mehr viel übrig, mag man meinen. War dann nicht auch noch die ganze Insel Biosphärenreservat? Na wenn das keinen wirklichen Schutz bedeutet …!
Was am Ende wichtig bleibt, ist jedoch die Frage, ob denn für die Organisation (Gutachten, Erlaubnisse, erstellen der Regeln, Planen von spezifischen Massnahmen, etc…) und die Kontrolle genug Geld und Personal zur Verfügung steht.
Ohne die Arbeit aller im Umweltamt der Inselregierung oder als Ranger arbeitenden Personen auch nur im mindesten schmälern zu wollen oder zu kritisieren, die Bearbeitung solch ausgedehnter Naturressourcen braucht eine viel grössere Anzahl von Personen! Auch sollte das generelle Entwicklungsmodell eine wichtige Rolle spielen. Die momentanen Bedrohungen, die fast 100 % ige Entnahme des Oberflächenwassers, Bebauung, invasive Pflanzen und Tiere und die übermässige Nutzung von Umweltgiften und die in Teilen von völlig anderen Prioritäten geleitete Verwaltung bringen einen grossen Teil dieser Lebensräume in Gefahr.
So verdient momentan meiner Meinung nach, was die möglichen positiven Aspekte eines Schutzgebietes angeht (Arten- und Landschaftsschutz, Informationsarbeit und regelmässige Kontrolle), wenn man es ernst nimmt, nur der Nationalpark Garajonay dieses Prädikat und dessen Anteil an der Oberfläche sind 11 %.