02.01.21 Tümpelwelten II

Auch winzige Gezeitentümpel bergen Leben. Setzen sie sich mal neben solch winzige Tümpel. Vielleicht legen sie auch noch eine Hand auf eine der winzigen Spalten …

Flache, ausgedehnte felsige Küstenstreifen werden hier bajío genannt. Sie sind auf von der Erosion geprägten, zerklüfteten Vulkaninseln wie La Gomera nicht sehr häufig.

Solche Felsenriffe werden allgemein als sehr produktive Zonen betrachtet. Wenn sich, wie in unserem Beispiel, darin viele Spalten und Höhlen befinden, die vielen zerbrechlichen Organismen Schutz gewähren, kommt eine enorme biologische Vielfalt dazu. Zunächst bietet sich auf solchen Felsenriffen ein Untergrund für alle grösseren und robusteren Algen, die am Meeresboden festwachsen und gerne in der Sonne stehen, aber auch für kleine, für uns nicht sichtbare Algen.

Strandschnecke (Tectarius striatus) ernähren sich von für uns nicht sichtbaren winzigen Algen

Zusätzlich zu diesen „Primärproduzenten“ endet ein grosser Teil aller möglichen winzigen treibenden Meeresorganismen, des Planktons, an den Küsten. Von ersteren ernährt sich ein Heer von kleinen raspelnden Konsumenten, wie Schnecken, Krebse, Seeigel und verschiedene Fische, das Plankton wird zum Beispiel von Muscheln und Seepocken aus dem Wasser gefiltert. Die Zahl der Schnecken und Seepocken verdeutlicht die Produktivität der Gewässer. Den Vergleich mit der wüstenähnlichen Küstenregion an Land müssen die Algen nicht scheuen, obwohl viele dieser Algen für uns nicht sichtbar sind. Wir „erfühlen“ sie eher, wenn die Felsen nass und sehr rutschig sind. Der Bereich um das Schutzgebiet „Charco del Conde“ an der Küste von Valle Gran Rey ist ein wunderbares Beispiel für die Reichhaltigkeit eines solchen Lebensraumes.

Felsenkrabbe (Pachygrapsus marmoratus)

Heute geht es um die winzigen Tümpel im Foto oben auf der Seite. Ganz leicht stellt sich der Eindruck ein, diese Zone berge kein Leben. Zu drastisch sind die Konditionen:

– die Wellen schleifen Steine über den Untergrund,

– lange trocknet bei Ebbe alles vor sich hin,

– Temperaturschwankungen von bis zu 15 °C in wenigen Sekunden

– bei Regen droht Aufschwemmung im Süsswasser.

Blaualge Calothrix crustacea

Man muss schon sehr genau hinschauen, um die verschiedenen, meist winzigen Lebewesen zu entdecken, die dort leben, sozusagen aus der Nähe. Ich brauche dafür mittlerweile eine Brille. Stützt man sich mit den Händen neben einem solchen kleinen Pfützchen auf, kann man besser sehen, muss sie aber gelegentlich wieder wegziehen, weil aus jeder Spalte ein Krebschen von unten zwickt, meist kleine Exemplare der Felsenkrabbe.

Die Algen, die zwischen den Tümpeln wachsen, trocknen wirklich lange vor sich hin. Am Ende einer Niedrigwasserphase sehen sie nur noch wie schwarze Überzüge auf den Felsen aus. Die häufigste Alge ist hier die Blaualge Calothrix crustacea. Wie oben schon angemerkt, dienen neben angeschwemmten Planktonorganismen eben solche Algen als Basis der Nahrungskette. Konsistenzlose, meist winzigen Algen nähren ein Heer von Konsumenten wie die falsche Napfschnecke und Kreiselschnecken und viele andere mehr. Dabei finden sich einmal mehr Schönheiten und Biester:

Blasenschnecke (Haminoea hydatis)

Die Blasenschnecke bewegt sich nur minimal und ist enorm an den Untergrund angepasst. Es handelte sich um eine der im Englischen „bubble snails“ genannten Vertreter der Unterordnung Kopfschildschnecken: Haminoea hydatis. Sie wird etwa 1,5 cm lang. Kopfschildschnecken haben einen abgeflachten schildförmigen Kopf, den sie wie einen Keil ins Sediment treiben, wenn sie sich unter Sand auf die Suche nach Beute machen, die zum Beispiel aus Ringelwürmern und Muscheln besteht.

Blaupunktseehase (Stylocheilus striatus)

Beinahe noch länger muss man seine Augen an das Bild gewöhnen, um die Blaupunktseehasen zu entdecken. Der sieht aus wie ein Algenbüschel, welches sich bewegt. Nur wenn der Blaupunktseehase mal zwischen den Algen herausgleitet, oder wenn man wirklich mit Ruhe in die Welt der Algen schaut und beginnt, die langsamen Bewegungen auszumachen, kann man diese kleinen Pflanzenfresser finden. Dabei gehören sie mit bis zu 3 cm Länge schon zu den Riesen.

unbestimmte Muschel

Da sie sich nicht bewegen, ist es beinah noch schwieriger, die Muscheln in den Spalten zu entdecken. Wer an essbare Vertreter in Zwiebelsosse denkt wird enttäuscht sein, aber die Tatsache, dass einige der Filtrierer auch hier, in den relativ nährstoffarmen Gewässern der Kanaren, ausreichend Nahrung im Plankton finden stimmt mich immer wieder froh.

Rankenwürmer (Cirratulidae)

Vielleicht sind unter den Würmern die am besten angepassten Tiere für das Rennen um die Pool-Position in den winzigen Tümpeln zu finden: Die Vertreter der Rankenwürmer verstecken sich komplett in Spalten oder gar unter Sediment in Spalten und nur die durch Druck ausstülpbaren Anghängsel der vorderen Segmente oder Ranken tasten sich über den Untergrund des Tümpels, um dort alle essbaren Reste aufzusammeln.

Dazu kommen noch weitere verschiedene winzige Schnecken, Einsiedlerkrebse und viele Tierarten mehr, die sich unter den winzigen Algen aufhalten und für deren Beobachtung man eine Lupe oder gar ein Mikroskop benötigen würde.

nicht etwa die Mutter der Seepocken, sondern eine falsche Napfschnecke (Siphonaria pectinata)

Es lohnt sich also, auch mal in den unscheinbaren Bereichen eine wenig Zeit zu verbringen und sich auf die kleineren Organismen zu konzentrieren und nicht nur den auffälligen bunten Fischen oder grossen Rennkrabben seine ganze Aufmerksamkeit zu widmen. In jedem Fall bekommt man nach einer Weile den Eindruck, auf die Ursprünge des Lebens zu blicken, wenn man die vielfältigen, beinahe unsichtbaren Gestalten dort herumwuseln sieht!