29.05.21 Warum gibt es so viele Wale und Delfine bei den Kanaren?

Makrelen, Sturmtaucher und Fleckendelfine

Wenn wir hier zu einer Walbeobachtungstour auslaufen und in deren Verlauf 5 Tümmler, 50 Pilotwale und 500 Fleckendelfine beobachten, ist das eine gute Tour, aber kein Ausnahmefall. Schnell taucht dann diese Frage auf.

Allerdings wird sich der Fragesteller meist auf die pure Anzahl der Tiere beziehen, weniger auf die Zahl der verschiedenen Arten. Stellen wir diese Frage hier, ohne Bezug zu einer konkreten Bootstour, bekommt die Geschichte mit den Arten mehr Gewicht. Es gibt nämlich vom flinken Fleckendelfin bis zum riesigen Blauwal viele verschiedene Meeressäuger, die offizielle Liste umfasst 26 verschiedene Vertreter der Meeressäuger. Gerne weise ich mit Begeisterung auf der Bootstour darauf hin, dass die Kanaren auch in diesem Sinne etwas Besonderes sind und darf dann 2 Fragen beantworten, gern geschehen …

Wassertemperatur im Februar. Aus SeaWIFS Argos Tiros UNIOS System

Wer nur die „kurze“ Antwort möchte, dem könnte man, sehr grob, 4 Aspekte nennen:

– Die Position der Kanaren liegt auf der Zugroute der Blau– und Buckelwale zwischen den Kapverden und den kalten Sommerweidegebieten in nördlichen Breiten.

Variabler Lebensraum = viele Arten

Die durchschnittliche Wassertemperatur im Westen der Kanaren liegt 4 – 6 Grad über jener der östlichen Küsten, so finden wir eine ganze Palette von Kaltwasserarten wie die Minkwale, eher in der Nähe der afrikanischen Küste und diejenigen, die kuschelig warmes Wasser vorziehen, wie Rauzahndelfine, eher bei El Hierro.

Pottwal

Da es in kurzer Distanz zur Küste schnell in grosse Tiefen abfällt, finden wir neben den sowieso vorkommenden auch alle tieftauchenden Arten wie Pottwale, Schnabelwale und Pilotwale. Hier leben sie unter besten Bedingungen ständig, sind resident, in der flachen Nordsee sucht man die wohl vergeblich.

Verhältnismässig wenige Menschen leben hier zwischen riesigen Wassermassen und schwierigem Terrain für Schleppnetze = viele Individuen

Der Mensch brachte und bringt über Jagd, Umweltverschmutzung, Fischerei (Nahrungskonkurrenz und direkte Probleme) sowie Kollisionen mit Schiffen und Fähren viele Arten an deren Grenzen. Auf den Kanaren hat es nie Walfang im grossen Stil gegeben, es gibt kaum reichhaltige Kontinentalplattform, die Schleppnetze können auf unregelmässigem oder/und tiefem vulkanischen Meeresgrund nicht eingesetzt werden. Ausserdem ist die Selbstreinigungskraft im ausgedehnten, tiefen und bewegten Meer um die Kanaren gross.

Strömungen mit rechtsdrehenden Wirbeln konzentrieren Plankton: ein gedeckter Tisch wandert durch den Ozean

– Unter besonderen ozeanografischen Bedingungen temporär begrenzt auftretende Fischschwärme ziehen einen ganzen Rattenschwanz an grossen Räubern hinter sich her. Hier tauchen dann Brydewale, Seiwale, Finnwale, Fleckendelfine, gemeine Delfine, Streifendelfine und andere auf. So haben wir ab und zu Jahre mit enormem Reichtum und phantastischen Begegnungen: 2005 habe ich einmal 7 Arten auf einer Bootstour im Süden Teneriffas beobachten können: Blainville-Schnabelwale, Pilotwale, Pottwale, Brydewale, Tümmler, Fleckendelfine und Gemeine Delfine.

Schnabelwale sind Spezialisten der Tiefsee

Natürlich sind nicht alle diese Arten auch leicht zu beobachten; so sind Zwergpottwale sehr scheu, Nordkaper extrem selten und Schnabelwale führen einfach ein sehr unauffälliges Leben. So sehen wir durchschnittlich 2 – 3 verschiedene Wale oder Delfine (davon aber eben oft viele) und die eben genannten sind eher selten dabei. So könnten wir also auch fragen „warum sehen wir die Schnabelwale nicht, wo doch deren Kadaver sehr häufig an der Küste gefunden werden?“

Besser wäre es wohl, nach Arten zu unterscheiden, denn schliesslich stellen sie völlig unterschiedliche Ansprüche an ihre Umgebung. Der wirkliche Hintergrund ist also immer ein Zusammenspiel aus unterschiedlichen Faktoren, für jede Art verschieden, und sie sind dementsprechend auch nicht alle an der gleichen Stelle in grosser Zahl zu finden. Beispielhaft möchte ich das einmal für die Pilotwale darstellen:

Warum sehen wir so viele Pilotwale?

Der blaue Windschatten südwestlich von Teneriffa und La Gomera ist gut erkennbar

Unsere meistgesichtete Art, die tropische Variante der Pilotwale, auch Kurzflossengrindwal genannt, findet hier perfekte Lebensbedingungen. Diese reduzieren sich auf zwei hauptsächliche Aspekte: Windschatten und Wassertiefen. Um das zu verstehen, muss man aber ihre Lebensweise genau kennen.

Pilotwale sind Sprintjäger, die mit Tauchgängen bis in durchschnittlich 700 Meter Tiefe in grosser Geschwindigkeit flinke Beute jagen, meist Kalmare mittlerer Grösse.

Sie brauchen lange Ruhephasen, bestenfalls in geschützten Zonen, wo die Erholung effektiver ist.

Bereiche mit grossen Wassertiefen vor La Gomera decken sich mit dem Windschatten

Ihre Jagd-Strategie ist so energieintensiv, dass sie lange Phasen dösend an der Wasseroberfläche verbringen, um in dieser Zeit ihrer Verdauung nachzugehen und ihre Sauerstoffvorräte wieder aufzufüllen. Wo geht das wohl besser, als im Windschatten einer Vulkaninsel, auf der dann auch noch der Wind regelmässig aus der gleichen Richtung bläst?

Geht man generell davon aus, dass sich Wale oft zwischen unterschiedlichen Nahrungsaufnahmegebieten oder zwischen denen und ihren Fortpflanzungsarealen bewegen, haben die Pilotwale den Lottogewinn getroffen, denn hier finden sie beides. Vulkaninseln im Ozean zeigen auch unter Wasser so schnell bis in grosse Tiefen abfallende Hänge, dass die Windschattenzonen (neben den Ruhephasen auch wichtig für eine erfolgreiche erste Phase der Aufzucht der Nachkommen) sich in ausreichendem Masse mit tiefem Wasser mit Nahrungsvorkommen deckt.

So können sie immer an einer Stelle bleiben und damit sehr viel Energie sparen.

schlafende Pilotwale

Da sich die Ruhezonen der Pilotwale mit den bestmöglichen Bedingungen für eine entspannte Zeit auf dem Boot decken, bekommen unsere Besucher den Eindruck, unser Meer wäre eine fischreiche Badewanne voller zufrieden dösender Wale.

Eine Empfehlung möchte ich am Ende noch geben: Suchen Sie sich doch ein Boot aus, das die Pilotwale weiter in Ruhe dösen lässt. Dann können vielleicht auch unsere Enkelkinder dieses Naturerlebnis noch geniessen.