Offenes Meer

Weit entfernt vom Land gibt es in einer riesigen, zu allen Seiten und nach unten offenen Masse nur eine Barriere: die Wasseroberfläche.

Makrelen und Fleckendelfine im offenen Wasser

Hier sind die Gewässer in grosser Entfernung zur Küste gemeint, die im Idealfall weder etwas von küstennah lebenden Organismen, noch von den dort eingetragenen Nährstoffen mitbekommen. Um zu verstehen, was das bedeutet, sollte man vielleicht vorher den Abschnitt der Primärproduktion gelesen haben. Auch der Meeresboden ist weit weg, meist mehr als 1000 Meter.  Nährstoffe sind entsprechend selten und durch Zersetzungsprozesse frei werdende Nitrate oder Phosphate werden sofort wieder in heranwachsende Organismen eingebaut. Insgesamt betrachtet handelt sich um ein stark verarmtes Ökosystem.

Basis

Die Basis des Lebens bilden Algen und Bakterien des Phytoplanktons, winzige, meist einzellige Organismen verschiedener Artengruppen, die in den Oberflächenschichten treiben.

Emiliania_huxleyi (Alison R. Taylor (University of North Carolina Wilmington Microscopy Facility) – PLoS Biology, June 2011, Cover ([1])
Sie übernehmen die Photosynthese, die Nutzung der Sonnenenergie, eine Funktion, die an Land von den Pflanzen erfüllt wird. Als Mass kann vielleicht der Vergleich mit den „Produktionsleistungen der Landpflanzen hilfreich sein: Man schätzt die Menge des insgesamt von Meeresalgen freigesetzten Sauerstoffs auf 30 – 50 % der weltweiten Gesamtproduktion!

Wichtig ist dabei, dass die Photosynthese im Meer in klarem Wasser auf die obersten 40 Meter beschränkt ist. Licht ist nur in der obersten Schicht in aussreichendem Masse vorhanden. Alle Organismen im offenen Wasser gedeihen dort oder sind von dort gedeihenden Lebewesen abhängig.

Verwerter

treibende Palette mit Bastardmakrelen und Drückerfisch

Die nächste Stufe in der Nahrungspyramide, immer noch unsichtbar für unser Auge, wird repräsentiert durch das im Durchschnitt bis 2 mm grosse tierische Plankton, welches sich von Algen oder Bakterien ernährt. Es ist unvorstellbar für uns, die wir in unserer Realität nur riesige Pflanzenfresser an Land kennengelernt haben, aber im Meer sind auch die meisten Räuber winzig. Unsere von dem für uns Sichtbaren abhängige Realität setzt dann auf der dritten Stufe erst ein, nämlich dort, wo kleine Fische das tierische Plankton aus dem Wasser filtern.

Dabei gibt es ein Problem für kleine Räuber: Es gibt immer noch einen grösseren Räuber und keinerlei Versteckmöglichkeit. Zwei Strategien werden genutzt:

Goldmakrelen (Coryphaena hippurus) und Schwarzfisch (Schedophilus ovalis)

1. Tarnen und Verstecken. Einige der kleineren Räuber versuchen ihr Glück an der Oberfläche, suchen dann aber jede Versteckmöglichkeit und tarnen sich mit silbrigen reflektierenden Oberflächen. So sammeln sich unter treibenden Objekten immer Fische im Schatten. Hier sind sie ihrer Meinung nach besser geschützt, wie die Bastardmakrelen im Bild, die sich wie eine Pyramide mit Scheitelpunkt im Schatten unter einer Palette sammeln; oder wie die Goldmakrelen, die sich unter dem 3 Meter langen Plastikrohr verbargen. Thunfischfischer machen sich das zunutze und setzen sogenannte Fischsammler (im Englischen: Fish agregating devices oder FADs) im Wasser aus und warten ein paar Wochen bis Monate. Normalerweise bildet sich unter solchen etwa 2 x 2 m grossen Strukturen innerhalb von 2 Monaten ein Thunfischschwarm. Die Fische ziehen dann ein grosses Netz (Ringwade) um die Struktur und holen den ganzen Schwarm heraus.

Vertikale Wanderungen in der Dämmerung
aus „Vertical distribution, composition and migratory patterns of acoustic
scattering layers in the Canary Islands“, Ariza, A. et al.

2. Abtauchen in den Schutz der Dunkelheit. Andere Organismen ziehen sich bei Tage in den grössere Tiefen zurück. Entweder sie warten sie dort, bis Reste von oben heruntersinken, oder sie gehen nachts an die Oberfläche, um sich was zu Essen zu holen. In den Tagen der Inbetriebnahme der ersten Echolote im zweiten Weltkrieg tauchte eine misteriöse „tiefe Streuschicht“ („Deep Scattering Layer“ – DSL im Englischen) aus Millionen von kleinen Lebewesen auf, die noch weit oberhalb vom eigentlichen Meeresboden ein „falsches“ Echo ergab. Die Organismen waren meist zu klein, als dass man sie in den Maschen der normalen Netze hätte fangen können. Mit speziellen Fischzügen in dieser Tiefe konnte man die entsprechenden Arten herausfinden, heute schafft man es mittels besserer akkustischer Methoden sogar, verschiedene Organismen von „oben“ auseinanderzuhalten. Wie aus der Graphik hervorgeht, handelt es sich dabei um verschiedene Fische und Krebse, Kalmare sollten noch ergänzend dazugezählt werden.

Fisch mit Kiemenreuse

Die Ausdehnung der Ansammlung von 2 – 10 cm grossen Organismen in der DSL kann mehrere hundert Meter stark sein und sich in horionteler Ebene über viele Quadratkilometer erstrecken. Was von der Oberfläche wie eine dichte Mischung aus vielen verschiedenen Tieren aussieht, entpuppt sich aus der Nähe als Gruppierungen nach Art und Grösse, sogenannten Schulen von bestimmten Arten von Kalmaren, Fischen und Krebstieren.

Eine sehr lesenswerte Arbeit zu dem Thema finden Sie unter diesem link.

Dieser schon etwas grössere Fisch aus der Familie der Skorpionfische ist zu diesem Zweck mit einem Maul wie ein Scheunentor und Kiemenreusen ausgestattet, und kann so, genau wie es Makrelen tun, bestens winziges Plankton aus dem Wasser filtern. Erst auf der Basis dieser  dritten Stufe der Nahrungspyramide ernähren sich die uns bekannten Fischarten wie Thunfische, Schwertfische oder Haie, und verschiedene Delfine.

Seltsame Welt

Der Degenfisch oder Strumpfbandfisch (Lepidopus caudatus) gehört zu denen, die in der Tiefe bleiben und die kleinen Räuber der DSL fressen

Für viele ist der Gedanke, dass es keine Versteckmöglichkeiten gibt, keinen Rückzug, weder vor Feinden noch vor „Freunden“, schwer greifbar. Immer wenn ich versuche, die Situation der Fleckendelfine zu erläutern, und das den Gästen verständlich zu machen, schaue ich in erstaunte Gesichter. Hinter jeder grossen Gruppe von Delfinen sind Haie unterwegs, die sich um die Alten und Schwachen oder um vorwitzige Jungtiere „kümmern“.  Um für Babies sicheren Raum zu schaffen, findet man im Aussenbereich einer Schule die starken Tiere oder junge, kräftige Rabauken, die durch hohe Sprünge oft den Aussenbereich „markieren“, während die Babies sich meist im zentralen Bereich aufhalten, im Schutz einer grossen Zahl von Müttern und anderen Erwachsenen.

Der Mensch und die Hochsee

Blauhai (Prionace glauca)

Unser Beitrag in diesem Ökosystem ist eher zerstörerisch. Wir entnehmen grosse Mengen der in den höheren Stufen der Nahrungspyramide ansässigen Organismen wie Fische, entfernen also die Spitze, aber nicht die Basis. Die Nahrung bleibt vorhanden, wir dürfen gespannt sein, welche Organismen in Zukunft auftauchen werden, die diese Lücke schliessen.

Die Umweltproblematik wird eher in diesem Abschnitt erläutert.